TROP CHAUD, Blatten und so
Mit Prognosen ist es so eine Sache. Ich bin grundsätzlich skeptisch, es sei denn sie basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und entsprechendem Konsens. Oder sie sind von Neil Young, der auf seiner neuen Platte singt, «big change is coming».
Für die Klimadiskussion in der Schweiz war der 28. Mai 2025 ein aufschlussreicher Tag. Es war der Tag als in Blatten/VS der Berg kam. Anders als bei den letztjährigen Unwettern in den Schweizer Alpen war von einer möglichen Verbindung zum Klimawandel die Rede. Stichwort tauender Permafrost und die Konsequenzen davon. Die grosse Geschichte in den Medien war/ist allerdings, wie schnell es Blatten schaffen wird, wieder aufgebaut zu werden. Beziehungsweise was es kosten wird. Oder ob sich das versichern lässt. Die Schweiz halt.
Seit dem 15. Mai ist unser Dokfilm TROP CHAUD – KlimaSeniorinnen vs. Switzerland in Deutschschweizer Kinos zu sehen. In rund 200 Vorstellungen in mehr als zwei Dutzend Orten und Städten haben bis jetzt gegen 2000 Leute den Film gesehen. Zeit für eine Art Zwischenbilanz.
Der Film hat denen, die ihn gesehen haben, sehr gut gefallen. Weil TROP CHAUD eine bemerkenswerte Geschichte erzählt, weil verständlich erklärt wird wie Klimawandel funktioniert, weil der Film gut unterhält und es zwischendurch sogar etwas zu lachen gibt. Uns Filmemacher freuen diese Feedbacks herzlich.
Wenn die Klimaanwältin Roda Verheyen im Film zur Decke blickt und sagt, das Problem Klimawandel sei «so gross», kann man ihr aufgrund der wissenschaftlichen Evidenz nur zustimmen. Und sich fragen, wieso das ein grosser Teil der Menschheit nicht wahrhaben will. Man nennt das wohl kognitive Dissonanz.
Dabei gehört der Klimawandel weltweit – und ja, Überraschung, dazu gehört auch die Schweiz – mittlerweile zu einer Art gesellschaftlichem Grundrauschen. Das immer lauter wird. Leugnen mag die menschengemachten Klimakrise niemand mehr, man ist dazu übergegangen, sie zu relativieren. So hat der Präsident der grössten Schweizer Partei die steigenden Temperaturen sogar begrüsst, er bringe den Bauern viele Vorteile. Gleichzeitig werden jene, die nach Lösungen für Klimaschutz bzw. -anpassung (mitigation and adaptation) suchen, als «Aktivist:innen» disqualifiziert bzw. denunziert. Oder noch effizienter einfach ignoriert, neudeutsch geghostet.
So jedenfalls ergeht es den KlimaSeniorinnen mit dem von ihnen erstrittenen Strassburger Klimaurteil. Sie werden in der Schweiz durch Nichtbeachtung effizient ausgegrenzt. Dass man in der Schweiz mit der Nichtbefolgung des EGMR-Urteils auch die Beschädigung des Rechtsstaats in Kauf nimmt, bezeichnet der Zürcher SP-Ständerat in TROP CHAUD kaltschnäuzig als «Kollateralschaden».
TROP CHAUD fand in wichtigen Printmedien der Deutschschweiz (NZZ, TA, BLICK) keine Erwähnung[1]. In St. Gallen, wo Klimaseniorin Pia Hollenstein (Alt-Nationalrätin der Grünen) lebt, findet sich kein Politiker, der mit ihr und Prof. Rainer J. Schweizer, alt-Bundesrichter und langjähriger Experte beim Europarat, öffentlich über das Klimaurteil bzw. TROP CHAUD diskutieren mag. Gesprächs-, Denk- und Debattenverweigerung. Man kann das auch als ohrenbetäubendes Schweigen bezeichnen.
So kommt es, dass TROP CHAUD in der Deutschschweizer Öffentlichkeit bis jetzt eher wenig Spuren hinterlassen. Eine Erklärung dafür lautet: Die KlimaSeniorinnen haben mit ihrer Klage gegen die Schweiz, die weltweit Beachtung fand, ein Tabu gebrochen. Breite Kreise haben ihnen das nicht verziehen. Als wären die KlimaSeniorinnen das Problem, nicht die schnell voranschreitende Klimakrise.
Weitermachen
Zurzeit produzieren Benjamin Weiss und ich eine französische und eine italienische Kommentarfassung von TROP CHAUD, die im Herbst 2025 auf den Leinwänden der Suisse romande bzw. der Svizzera italiana im Verleih von Louise va au cinéma zu sehen sein wird. Eine englische Kommentarfassung wird folgen. Wir werden den Film in den kommenden Monaten an Filmfestivals quer durch Europa zeigen, die auf Umwelt-, Ökologie- und Klimafragen spezialisiert sind.
Bei Diskussionen mit dem Publikum werden wir immer wieder darauf angesprochen, dass TROP CHAUD ideales Anschauungsmaterial für Schulen und Bildungseinrichtungen sei. Themen wie Klimawandel, Gewaltenteilung, Zivilgesellschaft und (direkte) Demokratie werden, so bescheinigt man uns, auf unpolemische Art und Weise thematisiert. Erste Kontakte zu Organisationen aus dem Bildungsbereich haben wir geknüpft.
Wir rechnen damit, dass die skizzierte Auswertung von TROP CHAUD ein Jahr dauern wird. Und, dass wir den Film am zweiten Jahrestag des EGMR-Urteils, am 9. April 2026, unentgeltlich im Web als lizenzfreie Public domain-Produktion zugänglich machen werden.
Big Change Is Coming
Ach ja, Neil Young. Der bricht dieser Tage zu einer weiteren Europatournee auf. Das geplante free concert in der Ukraine hat er zu seinem Bedauern wieder abgesagt. Im Song «big change» auf dem neuen Album TALKING TO THE TREES singt Neil Young:
Big change is coming
Coming right home to you
Big change is coming
You know what you gotta do
Big change is coming
Could be bad and it could be good
Big change is coming
It′s coming right home where you stood
[1] Hier gibt es den Überblick über die bisherige Medienberichterstattung zu TROP CHAUD